Prolog

Regungslos sitzt sie mit dem Rücken zum exquisiten Mahagoni-Schreibtisch da. Draußen, hinter den Fenstern des Büros, hoch oben über der Stadt, leuchtet orangefarben ein Sonnenuntergang und wirft bedrohlich anmutendes Licht in den spärlich eingerichteten Raum. An drei Wänden hängen jeweils zwei Bilder, die, so versicherte man ihr, Kunst seien. Auf dem Fußboden in der Mitte des Raumes liegt ein runder Teppich, der, auch das versicherte man ihr, kunstvoll gewebt sei. Sie stutzt. Ihr schneeweißes Haar schimmert orangefarben im Licht der Sonne und wirkt dabei so ein wenig wie die billige Perücke einer Prostituierten im Film „Pretty Woman“. In kurzen Abständen wandert ihr schmollender Mund von links nach rechts, als kaue sie ein Bonbon, dessen Geschmack nicht eindeutig zu definieren ist. Sie wirkt nachdenklich, tatsächlich aber ist sie sauer. Sehr sauer. All die Jahre, die nötig waren, um endlich hinter diesem exquisiten Schreibtisch, vor dem kunstvoll gewebten Teppich, umringt von noch mehr Kunst auf diesem exquisiten Schreibtisch-Stuhl zu sitzen, drohen nichtig gewesen zu sein. All die Jahre. Für sie war es immer eine Frage des „Wann“, nie des „Ob“. Zuversicht ist auf Seiten derer, die es wagen über Leichen zu gehen. Das war schon immer ihre Devise.

Sie stößt einen erdrückten Seufzer durch die Nase und schließt die Augen. All die Jahre.

Jemand stöhnt leise.

Vor ihr auf dem Tisch liegt ein geöffnetes Briefkuvert. Daneben, sorgfältig am Rand der ledernen Schreibtisch-Unterlage ausgerichtet, liegt ein exquisiter Brieföffner, der, so versicherte man ihr, einem japanischen Samurai-Schwert nachempfunden sei. Auf dem Umschlag stehen, handschriftlich vermerkt, drei Worte: „Nobunaga Container Ôsaka“.

Mit einer unauffälligen Bewegung dreht sich die Frau auf ihrem Drehstuhl um einhundertachtzig Grad und blickt über den exquisiten Mahagoni-Schreibtisch in den großen, weitgehend leeren Raum hinein. Es ist still. Auf einer Anrichte winkt eine japanische Glückskatze und wüsste diese Katze, wie total nervig die Frau hinter dem Schreibtisch dieses Winken in diesem Moment findet, sie würde sich den Arm ausreißen.

Wieder stöhnt jemand.

Verachtend blickt sie vor sich auf den Fußboden und winkelt ihr linkes Bein leicht an, um ihren Schuh zu inspizieren. Sie zieht die Augenbrauen hoch und ignoriert eine Hand, die am Boden hinter ihrem Schreibtisch hervorragt und unregelmäßig zusammenzuckt.

Das Stöhnen verwandelt sich in ein leises Jammern.

Sie greift nach einem Mobiltelefon, das ordentlich vor ihr auf dem Schreibtisch daliegt. Ihr Daumen schnellt geschickt über den kleinen Bildschirm, woraufhin eine sehr leise Melodie aus dem Lautsprecher des Telefons heraus verträumt „Für Elise“ spielt.

Jemand meldet sich.

„Wir müssen reden“, erwidert sie, ohne eine Begrüßung voranzustellen. Noch bevor die Person am anderen Ende überhaupt den Hauch einer Chance hätte zu reagieren, nimmt sie das Telefon wieder vom Ohr und trennt die Verbindung.

Das Stöhnen ist jetzt ein leises Gurgeln. Es erinnert an ein altes Wasserrohr, das sich hinter einer Wand darauf vorbereiten, nach langer Zeit endlich einmal wieder Wasser zu transportieren. Rostiges, altes Wasser.

Sie blickt teilnahmslos hinab auf den Fußboden und zur Quelle des Gurgelns.

Die Hand am Boden zuckt wieder.

Zuversicht ist auf Seiten derer, die es wagen über Leichen zu gehen, denkt sie und greift mit der linken Hand zum exquisiten Brieföffner.

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